„Vom Schreiben & der Zeit“

entstanden im Rahmen des Fernstudiums SCHULE DES SCHREIBENS, Oktober 2023…

Meine Großmutter arbeitete im Kulturbund. In den Sommerferien ’87 nahm sie mich mit ins Büro. Dort roch es nach staubigen Akten und gebohnertem DDR-Linoleum. Es gab Sandkekse und Tee. Igitt! Aber im Vorzimmer stand eine wuchtige, schwarze Schreibmaschine. Ich brach mir fast die Finger bei dem Versuch, erste Buchstaben auf holzige Schmierblätter zu drucken. Eine Löschtaste? Fehlanzeige. Doch ich übte und übte. Und so verflogen diese Ferien, in denen meine Oma keinen Urlaub bekam, wie im Flug. Im Zwei-Finger-Adler-Suchsystem hatte ich mein erstes Manuskript getippt, ganz akkurat, fast ohne Fehlerteufelchen.

Als 7-jährige war ich stolz wie Alfons Zitterbacke, Held meiner Kindheit, der Zahnpasta aß, um Astronaut zu werden. Heldinnen lernte ich erst später kennen. Andere alleinerziehende Mütter etwa, wie ich eine bin; die 30 Jahre später, um im Slang meiner Wahlheimat Berlin zu sprechen, erneut stolz ist wie Bolle und zwar auf die Veröffentlichung ihrer ersten queeren Kinderbuch-Serie im Epubli-Verlag.

Geärgert habe ich mich trotzdem. Über mich selbst, über Corona, über meine Herkunftsfamilie, meine Ex-Chefin oder Putin & Konsorten, über das Lebens allgemein. Denn meine Kinder sind längst dem Baby-Schaf-Alter entwachsen, dachte ich. „Du schreibst Bücher?“, fragte stattdessen meine Tochter begeistert. Was ich nicht auf dem Schirm hatte: Bruder und Schwester sind jetzt im Erstlese-Alter, machten es sich auf dem Sofa gemütlich und lasen sich meine Werke gegenseitig vor!

Geboren 1979 in MeckPomm, mit anspruchsvollem Job im Sozialen Bereich und vielerlei Hobbies: Musik, Film, Politik – da kam nie Langeweile auf, und so saß ich selten, wie unsere Nachbarin Frau S., am Fenster und schaute den Ahornbäumen im Hof beim Wachsen zu.

Bis zum Burnout letztes Jahr.

Nach langer Krankschreibung, Jobwechsel, Wohnungstausch und anderen positiven Veränderungen in meinem Leben hat der Optimismus mich zurück erobert. Oder andersherum?

Komplett verändert habe ich mich nicht. Auch sind viele Herausforderungen, beruflich wie privat, geblieben. Vor allem in punkto Schreiben. Und das, obwohl schon meine Großmutter in Literaturzirkeln saß sowie andere Familienmitglieder schreiben. Das richtige Handwerkszeug haben wir alle nie gelernt, aufgrund meist fehlender Zeitressourcen.

Das möchte ich ändern. Erneut. Den ersten Fernkurs belegte ich nach der Geburt meiner Tochter 2017. Der Kinderliteratur bleibe ich treu, arbeite aktuell zusammen mit einem befreundeten Grafiker an einem Text über FUSSI, das garstig-liebenswerte Fusselfresserchen, das unter unserem Familiensofa haust und Alltagsgegenstände stibitzt – in der Hoffnung, meinen Kinder diese Veröffentlichung noch vor dem Jugendalter zu präsentieren.

Hauptsächlich jedoch schreibe ich für mich. Berufung? Notwendigkeit? Ein Ausgleich mindestens zum Alltagsleben. Mein geliebtes Hamsterrad. Und würde ich behaupten, Bücher mit eigener ISBN druckfrisch in den Händen zu halten, sei dabei zweitrangig, würde ich flunkern. Selbstverlag hin oder her.

Und so begebe ich mich erneut auf die Suche: Nach meinem Schreibstil, nach neuen Genres, nach alten. Die antiquierte Schreibmaschine ist einem Laptop gewichen mit automatischer Rechtschreibprüfung, Internet-Zugang und perfektioniertem Zehn-Finger-System. Und während meine Tochter ihre erste Detektiv-Geschichte in mein brandneues Notizbuch pinselt, mit Zunge raus, probt der Junge auf dem Wohnzimmerteppich einen Aufstand von Lego-Figuren gegen Riesenplüschtiere. An Phantasie mangelt es nicht in dieser Familie.

Währenddessen sitze ich an meinem Sekretär, ohne eigenes Arbeitszimmer, aber ich mag dieses Schreiben im Getümmel, falls die Kinder nicht bei den eigenen Großeltern, bei der Zweitmutter oder beim Vater sind.

Die letzte Korrektur meiner ersten Schreibaufgabe fürs zweite Fernstudium schaffe ich so gerade noch rechtzeitig. Meine Großmutter schaut mir wohlwollend-kritisch über die Schulter dabei.

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